Wir sind das Volk: Verteidigt unsere Demokratie!

Ein Appell an Euch da draußen: Lasst Eure Demokratie nicht alleine. Verteidigt sie auf der Straße und im Netz. Wir alle haben die Verantwortung, eine Demokratie mit Demokraten zu sein und zu bleiben. Der Terror stellt uns alle auf eine harte Probe. Hier schreibe ich, wie wir sie bestehen.

Nicht erst in den vergangenen Tagen nach dem Berliner Weihnachtsmarktanschlag mache ich mir so meine Gedanken. Lange habe ich Facebook als digitalen Marktplatz gepriesen, auf dem wir als ansonsten Unbeteiligte dem Volk „aufs Maul schauen“ und mitdiskutieren können. Ein echter Fortschritt, dachte ich. Mittlerweile sehne ich manchmal analoge Zeiten zurück, in denen abstruse Weltanschauungen und falsche Gerüchte nicht in Sekundenschnelle ihren Weg rund um die Welt fanden.

Diskurs über Demokratie in Schieflage

Der Diskurs über die Zukunft unserer Gesellschaft wird längst in den sozialen Medien geführt, stellt die Bildungswissenschaftlerin Anja C. Wagner in einem – wie ich finde – sehr eindrucksvollen Vortrag zum Thema Bildung 4.0 fest. Und dieser Diskurs hat Schieflage. Es sind nicht mehr alle dabei, um politische Themen ausgewogen zu diskutieren. Viele, viel zu viele, halten sich vornehm zurück in ihrer Kommentierung. Überlassen das lieber anderen.

Die Übersicht zeigt, dass die Nutzung von sozialen Medien und damit die gesellschaftliche Diskussion nicht ausgewogen ist. (Quelle: Anja C. Wagner in https://youtu.be/mexR293J-EM)

An mir selbst stelle ich fest, dass ich in manche Facebook-Diskussion nicht einsteige, weil ich weiß, dass sie mich unter Umständen Stunden meiner produktiven Schaffenskraft kosten wird. Dass sie mich herunterzieht und mir Lebenskraft raubt, wie es die grauen Herrn im Kinderbuch „Momo“ mit den Menschen tun. Wie sich das anfühlt auf Dunkelfacebook hat die Journalistin Jasmin Schreiber einmal eindrücklich beschrieben. Stundenlange Diskussionen, ohne dass ich dafür am Ende jemanden von etwas überzeugen könnte.

Minderheit lenkt Mehrheit

Mein Post gegen den Hass in der Welt vom vergangenen Dienstag hatte eine überwältigende Resonanz. Rund 17.000 Menschen (Stand: 22.12., 8 Uhr) konnte ich damit erreichen. Fast hundert Mal wurde das Bild geteilt. Neben vielen positiven Reaktionen dann aber auch dieses: Zwei Mal lachen User über den Vorschlag, den Hass nicht siegen zu lassen. Und eine Handvoll Kommentare schaffen es zeitweise, die gesamte Diskussion in die Richtung zu lenken, dass nicht Toleranz sondern sofortiges Handeln gefragt ist. Was damit gemeint sei, möchte ich wissen, und bekomme keine klare Antwort. Stattdessen der unterschwellige Wunsch nach Obergrenzen und Abschiebungen, nach einer Welt, die irgendwie heile ist. Einfache Rezepte für komplexe Realitäten.

Auch wenn unsere Ur-Instinkte etwas anderes flüstern: Hass kann man nicht mit Hass bekämpfen.

Mittlerweile merke ich, dass sich wieder mehr Menschen einschalten in die Diskussion um unsere demokratischen Werte und sie nicht den Schwarzmalern überlassen. Sie haben begriffen, dass wir jetzt widersprechen müssen! Da ist keiner, dem wir das überlassen können. Politiker, Gewerkschafter, Priester: Von ihnen erwarten wir zurecht Widerspruch. Nur fällt uns „Amtsträgern“ diese Aufgabe nicht exklusiv zu. Das ist nichts, was man als Bürger überantwortet, um sich danach selbst zurückzulehnen zu können.

Achtung, Schweigespirale!

„Wir sind das Volk“, der Schlachtruf der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung war deshalb so wirkmächtig, weil er auf den Straßen der DDR aus zigtausend Kehlen kam. Heute liest man diesen Spruch in einzelnen hasserfüllten Tweets und leider verstärkt er sich umso mehr, je leiser das Umfeld darauf reagiert. „Schweigespirale“ nennt man das. Wenn keiner protestiert, nehmen immer mehr Menschen das als Mehrheitsmeinung wahr, was ihnen da unwidersprochen angeboten wird. Und sei es auf den ersten Blick noch so abseitig oder abscheulich. Wenn das dann erst die empfundene Mehrheitsmeinung ist, wollen am Ende alle dazu gehören.

Das Superwahljahr 2017 wird so oder so eine Wende markieren. Sollte das Postfaktische obsiegen, werden sich Parteienlandschaft und unsere Demokratie dramatisch verändern. Setzt sich dagegen die Vernunft durch, könnte von Deutschland ein wichtiges Signal an die Populisten Europas ausgehen: Nicht Ihr, sondern wir sind das Volk!

2 Kommentare zu „Wir sind das Volk: Verteidigt unsere Demokratie!“

  1. Hallo Rene,
    „Stundenlange zeitfressende und ineffektive Diskussionen im Netz“ Das entspricht auch meiner Erfahrung.
    Meine Meinung dazu: Ich habe den Eindruck, dass es nicht darauf ankommt den einzelnen mit Argumenten zu überzeugen bzw. entgegen zu treten.
    Stattdessen glaube ich, dass eine großen Präsenz von demokratisch denkenden Menschen mehr Eindruck macht und effektiver ist.
    Vorstellbar wären Verabredungen zum gemeinsamen Agieren im Netz.
    Kurz: Die Masse macht’s!
    Wichtig ist dabei natürlich schnell auf aktuelles Tagesgeschehen zu reagieren.
    Man müsste quasi on the fly zu virtuellen flashmobs aufrufen um möglichst viele zum Handeln zu einem aktuellen Thema auf div. Plattformen (Social Media bzw. journalistische Medien) zu bewegen.

  2. Hallo René, ich weiss die meisten halten sich zurück.
    Alle die die realistisch und objektiv drüber reden wollen werden ja in Engelchen oder Teufelchen aufgeteilt. Aber grundsätzlich; wer alle Türen öffnet wird bestimmt keinen Streichelzoo erhalten.
    Noch eine Schieflage, damals als es um die RAF ging und das Leben von hochrangigen Persönlichkeiten ging.
    Was war da, da wurden wir auf allen Straßen von Sonderkommandos durchsucht. Es kommt immer drauf an wer bedroht wir. Oben oder unten. Schöne Feiertage

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