Buchmarkt: Die Digitalisierung hat Ketten gesprengt

Seit der Erfindung des Buchdrucks passen Geschichten zwischen zwei Buchdeckel. Auch wenn die Buchstaben, Wörter und Sätze in der Fantasie Flügel bekommen, blieb die bleigewordene Erzählung doch immer etwas physisches, das mit Leineneinband, Umschlaghülle und Lesebändchen mal mehr, mal weniger aufwändig veredelt wurde. Die Digitalisierung hat damit Schluss gemacht. Durch das E-Book entmaterialisiert sich das Buch. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten: Onleihe, Lese-Flatrate, Social-Reading. Und auch der Buchhandel wird als Umschlagplatz eigentlich nicht länger benötigt – aber dazu später mehr.

Die Digitalisierung des Buches verschafft seinen Autoren neue Perspektiven. Als Self-Publisher (Eigenverlag im Netz) können sie gleich zu Beginn der Verwertungskette ausscheren und ihre Ideen selber zu Geld machen. Dafür braucht es keine Investitionen, keine Druckmaschinen oder ein Vertriebsnetz. Auf ein professionelles Lektorat, umfassende Marketingaktivitäten und den Vertrieb des physischen Buches über den stationären Buchhandel müssen sie dafür zwar verzichten, aber Masse könnte auf Dauer die Klasse verdrängen: „Die Anzahl von Autoren im Selbstverlag wird sich schnell derjenigen der zahlenden Leser für ein Buch annähern. So ist es auch im Musikgeschäft gekommen“, meint Internet-Pionier Jaron Lanier in seinem Buch „Wem gehört die Zukunft“. Steile These, der man sich von zwei Seiten nähern kann. Denn entweder wird das Self-Publishing so beliebt, dass sogar noch die heutige Zahl zahlender Leser überboten wird, oder aber immer weniger Menschen zahlen für Inhalte, auch weil die Zahl der eigenverlegten (Gratis-)Angebot stark steigt.

So wie die Schriftsteller nutzen auch die Verlage die Digitalisierung dazu, möglichst ohne Umwege direkt den Lesern ihre Produkte anzubieten. In einem Interview mit dem Börsenblatt sagte der CEO des Kölner Verlages Bastei Lübbe, Thomas Schierack, im Juni 2014: „Wir sehen gute Marktchancen für Abomodelle und Streaming-Angebote und wollen hier wachsen. Außerdem benötigen wir Kundendaten, Community und Kontakte.“

Das Buch oder besser die Präsentation der Geschichte darin hat sich durch die Digitalisierung auch und gerade beim Verlag Bastei Lübbe verändert, ist wesentlich vielfältiger geworden. Heute kümmern sich Software- und Spielentwickler, Filmstudios und Homepagedesigner darum, aus ein und derselben Story ein verwertbares Ganzes zu machen. Über digitale Kanäle werden die Apps und Inhalte direkt dem Leser verkauft.

Und der Buchhandel? Auch wenn die Zahl der Geschäfte sich in den vergangenen Jahren nicht signifikant verändert hat, fehlt den Buchhändlern ein Ausweichgeschäft. Einstmals exklusiver Verkäufer von (Hör-)Büchern wird ihnen nun von allen Seiten das Wasser abgegraben (siehe oben). Zwar können sie durch die Digitalisierung nun auch selbst im Internet Bücher und E-Books verkaufen, doch ist die Konkurrenz im virtuellen Verkaufsraum für den stationären Handel geradezu erdrückend. Deshalb sollte der stationäre Buchhandel seine Stärke als sozialer Ort ausspielen und mit guten Ideen und Angeboten dem Online-Handel Paroli bieten.

Amazon regiert das Online-Geschäft, weil es seinen Kunden immer neue Produkte und immer neuen Mehrwert aus dem Amazon-Universum bietet (z.B. Premium-Dienste wie Prime). Damit offeriert Amazon ein zunehmend geschlosseneres System, aus dem man als Kunde nicht mehr heraus kommt oder besser: aus Bequemlichkeit auch gar nicht mehr heraus möchte.

Gleichzeitig arbeitet der Versandriese daran, die Kette Autor-Verlag-Buchhandel komplett im eigenen Unternehmen abzubilden durch eine eigene Selfpublishing-Plattform, eigene Verlagstätigkeiten und den Verkauf der gedruckten wie der virtuellen Ware über amazon.de und auf die eigene Kindle-Reader-Reihe.

Fazit

Die Digitalisierung ist kein Grund zum Heulen. Sie ist Anlass, Geschäftsmodelle zu überdenken. Jede einzelne Glied der einstigen Verwertungskette muss sich auf eigene Stärken besinnen und neue Geschäftsfelder betreten. Die Digitalisierung hat alte Geschäftsbeziehungen aufgebrauchen, dafür aber auch neue Verbindungen geschaffen. Wenn man so will, führt die Digitalisierung auf allen Ebenen zur Emanzipierung – wir sollten jetzt nur Sorge tragen, dass der nächste Schritt nicht die Kannibalisierung ist.

Vonseiten der Politik sollten wir uns deshalb u.a. um folgende Themen kümmern:

  • Wir brauchen einen einheitlichen, ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für Bücher, Hörbücher, E-Books, Apps und deren Kombination (Bündle).
  • Wir müssen die Buchpreisbindung verteidigen und bewahren – unter anderem in Verhandlungen wie denen zu TTIP und CETA.
  • Wir brauchen klare rechtliche Rahmenbedingungen für den Verleih von E-Books in öffentlichen Bibliotheken (The right to e-read).

 

Dieser Artikel ist entstanden aus meinen Eindrücken vom Landtagstalk „Digitalisierung essen Buchmarkt auf“, der am 5. November 2014 in Düsseldorf stattgefunden hat. Hier die Dokumentation der rund zweistündigen Veranstaltung bei Youtube:

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